New Sensations - alte Gefühle, neu gelesen
Ich war beim Frisör. Ein ganz schönes Erlebnis... auch das hat ganz viel
damit zu tun, die Lust neu zu erfinden und auf neue Körperregionen - man könnte auch
sagen: auf Leibesinseln - zu schreiben. Ich hatte diese fixe Idee von der Kopfhaut, der
Kopfform, den Kopf unter den Haaren neu entdecken. Also mußten die Haare weg, so weit es
geht, so weit es mir noch annehmbar erschien. Heute war der Tag dafür. Mein Frisör war
nicht wirklich begeistert. Ich habe ihn beauftragt, so weit zu schneiden, wie er es
ertragen kann. Dann waren da die Worte, bis an deine Grenze, und die Assozationskette
machte leise 'klick' in meinem Kopf. Aha, so werden also neue Erlebnisfelder im Alltag
erschlossen oder so. Wir redeten nicht lange, dann wurden die Begriffe knapp unterhalb
seiner Hände verwirbelt... Techno, Cyberspace, postmoderne feministische Theorie, SM,
'die dunkle Seite jenseits der Regeln', Party-Locations, Familie, Psychodrama, Haare als
ein Zeichen meiner Selbst, ob ich mal wieder mehr versuchen sollte, mein Geschlecht zu
verspielen... und immer mehr nur noch kribbeln, Phillip riecht gut, atmet, schwitzt,
arbeitet an meinem Kopf. Arbeitet sich langsam immer weiter, arbeitet mich in seinen
Händen durch. Pflügt über meinen Kopf, wie kurz geht noch... schneidet schließlich
Haare auf Kammlänge, immerhin, ich war mir nicht sicher, ob er soweit gehen würde...
Nimmt den Rasierer, vor dem ich als Kind solche Angst hatte, wenn ihn mir alte Männer
militärisch zackig in den Nacken gerammt haben. Zurichtung. Phillips Hände arbeiten
anders, sorgender. Er arbeitet an den Konturen, zögert - frißt sich langsam meinen Kopf
hinauf. Rasierer über Kamm, da war die Grenze. Hätte ich mich darauf eingelassen, egal,
ich bin in seiner Hand und es ist gut. Phillip braucht lange, mäht meinen Kopf mit aller
Sorgfalt, ich bin in einem Paralleluniversum. Nach dem Aufwachen bin ich draußen, es ist
kalt im April. Als Kind hab ich immer geschrien beim Frisör, fällt mir noch ein.
M, ? |